„BPMN ist die ideale Grundlage für agile Entwicklung“

Mario Kandler, Inhaber des ECMS Systemherstellers SiteFusion und ausgewiesener BPMN-Spezialist, zum Thema.

Standardisierte Prozesse, Vernetzung der einzelnen Verlagssysteme, die Anbindung von Autoren, eine Übersicht der aktuellen Produktionsstände – das ist sowohl Anforderung als auch Wunsch in vielen Medienunternehmen. Business Process Model and Notation (BPMN, deutsch Geschäftsprozessmodell und -notation) ist eine moderne, intuitive Methode, um Geschäftsprozesse und Arbeitsabläufe modellieren und dokumentieren zu können. Wir haben Mario Kandler, Inhaber des ECMS Systemherstellers SiteFusion und ausgewiesener BPMN-Spezialist, zum Thema befragt.

Wie würden Sie den Industriestandard BPMN in einem Satz beschreiben?
Der BPMN Standard bietet zum ersten Mal in der Softwareentwicklung die Möglichkeit eine gemeinsame „Sprache“ und somit ein Verständnis zwischen Entwickler, Produktmanagern, Anwendern und der Unternehmensleitung bereitzustellen.

Wenn ich als Unternehmen zur Beschreibung meiner Prozesse BPMN nutze – wie kann so etwas konkret funktionieren?
Der Einstieg in BPMN ist relativ leicht. Die dazu notwendigen Tools sind alle als Open Source Kompetenzen erhältlich. Auch die Nutzung der Notation kann in relativ kurzer Zeit erlernt und angewendet werden. Grundsätzlich sollte sich jedoch der Verlag im Klaren sein, dass die Beschreibung von Prozessen nicht so nebenbei erfolgen kann. Idealerweise wird ein Mitarbeiter, der sich für das Thema interessiert für eine festgelegte Zeit als Prozessverantwortlicher definiert.
Grundsätzlich kann man bei der Modellierung erstmal nichts falsch machen. Natürlich wird sich im Laufe der Zeit der Prozess mehrmals verändern, jedoch ist dies in BPMN zum Glück sehr leicht angepasst. Ganz wichtig ist zu Beginn der Umsetzung, dass man sich nicht in den einzelnen Details der Prozesse verliert. Lieber etwas abstrakter und dafür alle Bereiche abdecken. In einem zweiten Schritt müssen die entsprechenden Verantwortlichen der jeweiligen Abteilungen mit bei der Ausarbeitung ins Boot geholt werden. Bestehende Prozesse müssen aus meiner Sicht in Zusammenarbeit mit den Nutzern dokumentiert werden.
Zeitlich sollte man sich nicht unter Druck setzen. Wie bereits erwähnt ist die Umsetzung ein iterativer Prozess. Erste Prozessentwürfe sollten am besten in einem gemeinsamen Workspace bereitgestellt werden, um so den Kollegen einen Einblick und die Plattform für Rückmeldungen bieten zu können. Oft habe ich auch schon gesehen, dass die Kernprozesse als Poster ausgedruckt im Verlag bereitgestellt wurden und so jeder Mitarbeiter per Notiz kommentieren konnte.
Sobald der IST-Prozess dokumentiert ist, kann man sich überlegen diesen zu optimieren und zu einem SOLL Prozess umzuformen. Aber auch hier sollte man immer bedenken: Ein Prozess ist nie fertig. Ich spreche hier gerne vom Prozess Life Cycle, also der Anpassung, Einführung, dem Monitoring, der Bewertung und dann wieder die Anpassung.

BPMN ist ein Werkzeug zur Prozessbeschreibung – das klingt, mit Verlaub, etwas nüchtern. Wie passt das in agile, innovative Zeiten?

Aus meiner Sicht bietet eben genau der BPMN Prozess und die darauf basierte Software die ideale Grundlage für agile Entwicklung. Wenn sie an Hand eines Prozesses einzelne Funktionen in ihrer Organisation umsetzen, so ist man gezwungen die jeweiligen „Tasks“ entsprechend granular, also in einer Microservice-Architektur zu realisieren. Nur so kann ich diese innerhalb meiner Prozesskette beliebig einfügen und verschieben. Ich muss mir zu Beginn der Umsetzung kein Gesamtkonzept für alle notwendigen Funktionen und Schnittstellen erstellen, sondern habe die Möglichkeit dies in kleine überschaubare Arbeitspakete zu unterteilen, die dann im Zuge von einzelnen Sprints umgesetzt, getestet und ausgerollt werden können.
Am besten startet man mit vielen sogenannten „User Tasks“, also Schritten die manuell durch Anwender ausgeführt werden. Nun kann man beginnen einzelne Aufgaben zu automatisieren oder durch intelligente Tasks dem Nutzer Arbeiten bei der Überwachung von Tätigkeiten abzunehmen.
Moderne Anwendungen nutzen idealerweise bereits innovative Tools und Lösungen die vorhanden sind und binden diese intelligent ein. Der Ansatz „Best-of-Breed“ ist somit nicht nur ein Buzzword, sondern selbstverständlich. Egal ob Google Cloud Anwendungen, Amazon Webservices oder andere Microservices und innovative Lösungen – die Integration an jeder beliebigen Stelle in ihrer Anwendung ist sichergestellt.

Wie passt BPMN und Content Management zusammen?
Grundsätzlich passt dies sehr gut zusammen. Jedoch hängt der maximale Nutzen von der Integration im CMS System ab. Wird eine BPMN Workflowengine lediglich neben ein CMS gestellt um dann aus diesem heraus Prozesse anzusteuern und abzuarbeiten, so kann man dies natürlich sehr gut für die Abbildung redaktioneller und herstellerischer Aufgaben nutzen. Jedoch bin ich der Meinung BPMN soll das gesamte Content Management System und seine Angebundenen Systeme steuern. Also hinter jedem Klick, bei jeder Aktion, den Schnittstellen und so weiter werden stets Prozesse ausgeführt und kümmern sich um die Ansteuerung der entsprechenden Funktionen in der richtigen Reihenfolge. Dies bedeutet natürlich, dass man nicht einfach ein bestehendes System damit ausstatten kann, sondern bei der Konzeption und der Basisentwicklung dies bereits als Herz integrieren muss. Also nicht das System steuert den Prozess, sondern die Prozesse steuern die Systeme.

Mario Kandler ist Inhaber des ECMS Systemherstellers SiteFusion. Seit 20 Jahren beschäftigt er sich mit der Publizierung von Inhalten im Verlagsumfeld. Seine Schwerpunkte liegen in der Planung und Konzeption von Publishingprozessen und in der Optimierung von Geschäftsprozessen. Als Experte für XML Publishing mit BPMN Prozessen hält der Gastvorlesungen an der HTWK Leipzig sowie HdM in Stuttgart. Seine Mission ist die Verbreitung des BPMN Standards im Verlagsumfeld.

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