Fachverlage sind strikt auf die Bedürfnisse dieser Zielgruppen ausgerichtet, der Kanal bzw. das Medium wird dabei immer zweitrangiger. Eine traditionelle Anhänglichkeit – nennen wir es Neigung – zum Buch will ich diesen Verlagen gar nicht absprechen. Aber im Zweifel entscheidet der Kunde oder die Kundin über den Lieferkanal und das Liefermedium. Der Unterschied zu Publikumsverlagen und Presseverlagen ist dabei, dass der Content oft hinter den Service zurücktritt. Wobei Presseverlage immer routinierter Technologie einsetzen, um ihre Produkte bzw. deren Zusammenstellung zu optimieren, den Customer Value zu erhöhen und Absprungraten im Abonnement zu vermindern. Beispiele sind das Projekt DRIVE, bei dem sich sogar Mitbewerber zusammengeschlossen haben, um personalisierte Angebote auszuspielen oder der Einsatz von KI, um die „Churn Rate“, also die Abbestellung eines Abonnements, idealerweise schon vor der eigentlichen Entscheidung der Leser und Leserinnen dazu mit geeigneten Maßnahmen zu verhindern.
Wie aber steht es um die Publikums-, vor allem um die Belletristik-Verlage? Gut, auf der Prozessebene passiert einiges, etwa bei der Themenauswahl und Auflagenhöhe oder beim Einsatz von Produktionssystemen – wobei hier noch Luft nach oben ist, wie die Analyse zum Einsatz von Redaktionssystemen zeigt, die der DIGITAL PUBLISHING REPORT zusammen mit dem Beratungs- und Serviceunternehmen um9 durchgeführt hat (diese finden Sie ebenfalls in diesem Magazin).
Wie aber steht es um das eigentliche Produkt, das „Buch“? Ganze Zukunftskonferenzen sind durchgeführt worden, um herauszufinden, wohin sich dieses Medium entwickeln könnte. Aber was ist herausgekommen? Das digitale E-Book-Format hat sich zehn Jahre lang als Übergangsformat (etwas anderes ist es technologisch als plumpe 1:1-Digitalkopie wirklich nicht) regelrecht festgebissen und wird inzwischen, nachdem sich die Furcht, dieses könnte das gedruckte Buch kannibalisieren, etwas gelegt hat, halbwegs toleriert. Das Thema „enhanced ebook“ hat sich nicht am Markt durchsetzen können, Dank einer Mischung aus Geräterestriktionen, überzogenen Preisvorstellungen und ungenügenden Anreicherungen. Oder, um es salopp auszudrücken: So etwas braucht kein Mensch.
Ein Thema, vor allem aus dem angloamerikanischen Raum angetrieben mit Projekten wie Pelican Books oder O’Reilly Atlas, war immer die Migrierung der Inhalte ins Web, aus vielerlei Gründen: Das Lesegerät (gleich Browser) ist auf jedem digitalen Device verfügbar, es gibt keine Walled Gardens wie bei Amazon, Apple und Co. – und vor allem der Direktvertrieb wäre für Verlage endlich sinnvoll umsetzbar. Tatsächlich gab es auch Annäherungen, vor allem getrieben durch das World Wide Web Consortium (W3C), das Gremium zur Standardisierung der Techniken im World Wide Web, eher verhalten behandelt durch den Börsenverein, der lieber in verständlichere Lobby-Aktionen wie „Vorsicht Buch!“ investierte, statt (damals) Mitglied im W3C zu werden und die Entwicklung voranzutreiben. Schade um diese Gelegenheit – wer weiß, welche spannenden Projekte Publikumsverlage inzwischen im Web realisiert hätten. Aber wie heißt es so schön: „Hätte, hätte, Fahradkette …“
Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre,
Steffen Meier
Herausgeber
DIGITAL PUBLISHING REPORT